Rathaus Vaterstetten, Sonntag, 25. Juli 2010 – 19 Uhr
ANDRÉ CARDINAL DESTOUCHES (1672 – 1749)
Issé – Pastorale héroique
Deutsche Erstaufführung in französischer Sprache
Issé: Alice Oškera-Burghardt – Sopran
Apollo: Sebastian Schober – Tenor
Doris: Roswitha Schmelzl – Sopran
Pan: Christian Maria Schmidt – Bariton
Hylas: Thomas Hamberger – Bariton
Oberpriester: Bernhard Spingler – Bariton
Neue Chorgemeinschaft Vaterstetten
Barockensemble „Sans-Souci“
auf historischen Instrumenten a = 415’
Leitung: Konstantin Köppelmann
André Cardinal – zunächst noch ohne „Destouches“ – wird am 6. April 1672 in Paris als Sohn des wohlhabenden Kaufmannes Etienne Cardinal Seigneur des Touches et de Guilleville geboren. Als Spross aus wohlhabendem Hause besucht er das berühmte„Collège Luis-le-Grand“ wo die Jesuiten die Erziehung des jungen André übernehmen, und wo er mit Sicherheit auch die Musik von Marc-Antoine Charpentier hört, die dieser für musikalische Aufführungen des Collège komponiert hatte. Interessanterweise zeigen sich in dieser Zeit jedoch noch keinerlei Anzeichen einer musikalischen Begabung, und noch viel weniger gibt es Hinweise auf den kometenhaften Aufstieg des späteren Musikers, dessen Werdegang im Übrigen sehr außergewöhnlich und völlig untypisch für die Zeit ist. Mit dem Jesuitenpater Guy Tachard zusammen verläßt der kaum 15-jährige im Januar 1687 Paris, um den berühmten Botschafter von Siam, der Ludwig XIV. mit seiner schillernden und extravaganten Erscheinung überaus beeindruckt hatte, bei seiner Heimreise zu begleiten. Sie erreichen Siam im September 1687.
Nach einem weiteren Jahr des Reisens kehrt der wohl inzwischen nur noch halbherzig mit einer geistlichen Karriere liebäugelnde André nach Paris zurück und verbringt einige Zeit in der „Manège Royale“ in der Rue de Tournon – einem Institut für die Ausbildung von Reitern und zur Förderung der Reitkunst. 1692 tritt er in die Armee ein und nimmt unter Ludwig XIV. an der Belagerung von Namur teil. Sein musikalisches Talent entdeckt er schließlich ganz zufällig, als er sich mit anderen Soldaten befreundet und mit diesen zum musikalischen Zeitvertreib trifft. Neben seinen militärischen Verpflichtungen findet er auch Zeit, sich in den angesagten Pariser Salons zu bewegen, und so die Bekanntschaft einflussreicher Persönlichkeiten wie dem Prince de Conti, dem Duc de Vendôme und Antoine de Grimaldi, dem späteren Prinzen von Monaco zu machen.
Als im August 1694 der Vater stirbt, fügt André Cardinal in Erinnerung an den Titel seines Vaters dem eigenen Namen „Destouches“ hinzu – die Schreibweise “Des Touches” taucht daher verschiedentlich ebenfalls auf. André Cardinal Destouchesverlässt die Armee 1696 im Bewusstsein darüber, dass er inzwischen über außergewöhnlich gute Kontakte verfügt, und dass das Interesse an der Musik wohl doch größer zu sein scheint als das Interesse am Militär. In weniger als einem Jahr wird nun aus dem talentierten Amateur ein professioneller Musiker mit glänzenden Aussichten auf die Zukunft. Destouches arbeitet offensichtlich sehr intensiv zusammen mit André Campra, für dessen „L’Europe Galante“ dieser ihn aus Freundschaft drei kleine Einlage-Arien schreiben lässt, mit denen Destouchesentscheidend zum großen Erfolg des Werkes beiträgt.
Bereits ein Jahr nachdem Destouches die Armee verlassen hat findet am 7. Oktober 1697 die Premiere seines ersten eigenen Bühnenwerkes Issé vor Ludwig XIV. in Schloss Fontainbleau statt. Der Text stammt – wohl nicht ganz zufällig – von Antoine Houdar de Lamotte, dem Textdichter von Campras „L’Europe Galante“. Die Musik beeindruckt den Monarchen so sehr, dass er sie sofort mit den Werken des 1687 verstorbenen Jean-Baptiste Lully auf eine Ebene stellt und Destouches einen Beutel mit 200 Louisdor schenkt.
Nach der seit Lullys Zeiten üblichen halbszenischen Premiere eines neuen Werkes zunächst nur vor dem Hof, wird das Schäferspiel nach einer weiteren Aufführung am 13. Dezember in Versailles schon am 30. Dezember 1697 in Paris mit großem Erfolg szenisch gegeben. In der ursprünglichen Fassung von 1697 ist Issé jedoch nur dreiaktig und dem Charakter der Handlung nach in eher bescheidenen Dimensionen angelegt. Als Destouches das Werk 1708 überarbeitet , wird es von drei auf fünf Akte erweitert, mit dem nach französischer Tradition üblichen Prolog versehen und – um den Publikumsgeschmack zu treffen – um zahlreiche Chöre, Ballette und Arien erweitert. Die auf diese Weise aufwendig erweiterte „Pastorale héroique“ Issé wird nun zu einem der meist gespielten Werke im Repertoire der Pariser Oper, dessen Aufführungen noch weit über Destouches Tod hinaus belegt sind. Die Musik von Issé ist stark am immer noch maßgeblichen Stil Lullys orientiert, zeigt aber schon eine Reihe von Weiterentwicklungen, die Destouches als Musiker mit einem sehr ausgeprägten Sinn für melodisch-harmonische und formale Erfindung und Entwicklung sowie als scharfsinnigen Beobachter des Publikumsgeschmackes zeigen.
Destouches Issé sichert dem jungen Komponisten auf Anhieb einen Platz in vorderster Reihe unter den führenden Komponisten Frankreichs. 1713 wird er von Ludwig XIV mit einem Gehalt von 4000 livres zum Generalinspector der 1669 gegründeten „Académie Royale de Musique“ ernannt – nach heutigem Verständnis eine Art Direktor der Oper. Die sehr differenzierten und weitläufigen Aufgaben dieser königlichen Akademie für Musik – heute „Académie nationale de musique“ – waren die Schaffung von künstlerischen Darbietungen inklusive der Libretti, Musik, Choreographie, Kostüme, Bühnenbilder, Inszenierungen, die Ausbildung von Schülern im Bereich des Gesangs, so wie in den instrumentalen und darstellenden Künsten. Im weiteren Sinne sollte dies die ästhetische „Erziehung“ des Publikums zum Ziel haben. Jean-Baptiste Lully, der bis zu seinem Tode im Jahre 1687 als Direktor der „Académie Royale“ mit königlicher Genehmigung das Privileg (Monopol) der Aufführung von Opern besaß, konnte auf diese Weise die Aufführung von Werken anderer Komponisten praktisch unmöglich machen.
Nach dem großen Erfolg von Issé schreibt Destouches eine ganze Reihe weiterer Bühnenwerke, unter ihnen „Amadis de Grèce“ (1699), „Marthési“ (1699), „Omphale“(1701), „Le Carneval et la Folie“ (1703) und „Callirhoé“ (1713). Destouches spätere Werke und die oft erfolgten Überarbeitungen und Adaptierungen älterer Werke für neue Aufführungsreihen zeigen ihn stets aufgeschlossen gegenüber den musikalischen Zeitströmungen, denen ein Festhalten am starren hochbarocken Pathos des von Lully geschaffenen „Einheitsstiles“ eher im Wege stand. Weil das Interesse des Publikums am „Heldendrama“ auch zusehends erlahmte, wandte sich Destouches daher auch ganz neuen Formen wie dem „Opéra-ballet“ zu – einer Art Mischform, die opernhafte Opulenz in der Ausstattung noch mehr mit Tanz, Gesang und einer eher anspruchslosen Handlung verbindet.
Nach dem Tod von Ludwig XIV. im Jahre 1715 und der daraufhin bis 1723 folgenden„Régence“ – Ludwig XV war noch minderjährig und der Neffe Ludwigs XIV, Philippe d’Orléans fungierte als Regent – ist Destouches als führender Opernkomponist und auch auf Grund seiner finanziellen Erfolge in der Lage den Besitz von La Vaudoir in Sartrouville zu erwerben – nahe genug an Paris gelegen, um seinen vielen Verpflichtungen trotzdem nachzukommen. Bei einer Aufführung von Destouches Ballet„Les Èlements“ im Palais des Tuilleries vor dem versammelten Hof tanzt am 31. Dezember 1721 der junge zukünftige König Ludwig XV eine Hauptrolle.
1724 heiratet Destouches Anne-Antoinette de Reynold de la Ferrière, mit der er eine Tochter hat. Im selben Jahr ernennt ihn Ludwig XV zum Leiter der königlichen Kammermusik und macht ihn schließlich zum Direktor der „Académie Royale“. Eine ganze Reihe von wichtigen Posten halten Destouches in der Folge schließlich immer mehr vom Komponieren ab und sein Leben scheint in den letzten Jahren offensichtlich etwas ruhiger verlaufen zu sein. Einen größeren Teil seiner Zeit widmet er jedoch der Neueinrichtung und Bearbeitung seiner Opern für Neuinszenierungen. Destouches stirbt im für damalige Zeit betagten Alter von 77 Jahren am 7. Februar 1749 in Paris und wird in der Krypta von Saint-Roche beigesetzt.
(K.K.)
Die Handlung:
1. Akt:
Der von Daphne verschmähte Gott Apollo und sein Vertrauter Pan sind als Schäfer verkleidet in ein Dorf gekommen um sich zu amüsieren. Apollo fragt sich, ob es nicht eigentlich sinnlos sei, sich immer wieder neuen Zurückweisungen auszusetzten und unter unerwiderter Liebe zu leiden, denn er ist frisch verliebt in die schöne Nymphe Issé, die ihn aber bisher im Unklaren über ihre Gefühle gelassen hat. Pan schlägt Apollo vor, doch die Verkleidung als Schäfer Philémon einfach abzulegen, damit Issé erkennen könne wer er in Wirklichkeit sei. Apollo will sich aber nicht zu erkennen geben um heraus finden zu können, wie die Gefühle von Issé ihm gegenüber wirklich sind.
Als Issé erscheint, verstecken sich Pan und Apollo um die Nymphe zu belauschen, die die Unruhe und die Verwirrung in ihrem Herzen beklagt, die ein Eroberer bei ihr ausgelöst hat.
Issés Schwester Doris, die hinzukommt, vermutet fälschlich, dass der Auslöser dafür der Schäfer Hylas sei, der Issé schon seit langem aufrichtig liebt. Hylas hat ein großes Fest mit Musik und Tanz vorbereitet um Issé damit zu gefallen. Er beklagt sich über Issés ewige Gleichgültigkeit ihm gegenüber und fordert sie gemeinsam mit den anderen Schäfern und Dorfbewohnern auf, sich doch endlich auf die Liebe einzulassen. Issé bleibt jedoch standhaft und verkündet, dass sie sich vor den gefährlichen Pfeilen Amors schützen wolle, weil diese nur Verletzungen bringen würden.
2.Akt
Issé, allein in ihren Gärten, befürchtet dass ihre Standhaftigkeit vielleicht doch ins Wanken geraten könnte. Apollo findet die aufgewühlte und abweisende Issé und vermutet, dass die Zurückweisung ihm gegenüber der Tatsache entspringt, dass Issé in Hylas verliebt sei. Issé klärt den Irrtum auf und gesteht Apollo zaghaft, dass er, der Schäfer Philémon es sei, der sie durcheinander bringen würde.
Pan fängt Issés Schester Doris ab, um ihr freimütig zu gestehen, dass sein Herz für das Ihre nun auch bereit sei, wenn sie sich nur darauf einlassen wollte. Doris bemerkt spöttisch, dass ihr das zu gefährlich sei, da die Schäfer ja in dieser Hinsicht recht sprunghaft wären. Pan schlägt vor, doch erst einmal zu überprüfen, ob sie zueinander passen würden – wenn nicht, könne man die Sache ja schnell wieder beenden. Doris ist entsetzt darüber, dass Pan die Liebe nur als Spiel betrachtet, wohingegen dieser nur bemerkt, dass jene, die sofort ewige Treue schwören würden auch nicht aufrichtiger wären als alle anderen.
Pan besingt das Glück, welches die lockere Art und Weise mit Liebe und Gefühlen umzugehen bringt, vereint mit dem Chor und Doris, die schließlich auch zugeben muß, dass dieser liebliche Ort die angenehmsten Freuden für alle bietet – wenn man sich nur darauf einlässt.
3.Akt
Apollo trifft sich mit Pan am Eingang zum Wald von Dodone, wo die ratlose Issé das Orakel über ihre Zukunft befragen möchte. Obwohl Issé ihm gegenüber signalisiert hat, dass sie seine Gefühle erwidern würde, ist er sehr zum Missfallen von Pan immer noch nicht zufrieden. Apollo möchte durch den Orakelspruch sehen, ob Issés Gefühle ihm gegenüber auch wirklich ernst gemeint sind.
Hylas erscheint und beklagt sein hartes Los und die Kälte Issés seinen eigenen aufrichtigen Gefühlen gegenüber. Er wird von Issé überrascht, die sich erschreckt abwendet und ihm bedeutet, er solle sie in Ruhe lassen um in Ruhe das Orakel befragen zu können. Die Qualen von Hylas erschrecken Issé, die ihn bittet sie doch endlich zu vergessen, wenn er nur wegen ihr so leiden müsse. Hylas ist wütend und verzweifelt darüber, dass er nur Mitleid von Issé erfährt.
Pan findet Doris nach längerer Suche endlich und verkündet, dass seine Liebe zu ihr inzwischen immer größer geworden sei, worauf diese nur lapidar bemerkt, dass sie daher wohl auch genauso schnell wieder kleiner werden könne… Schließlich lässt sie sich aber doch von Pan überzeugen, dass ihre eigenen hohen Ansprüche und Vorstellungen vielleicht doch etwas übertrieben sind und dem eigenen Wohlergehen vielleicht im Weg stehen könnten.
Der Oberpriester erscheint mit seinem Gefolge und beginnt mit der Zeremonie der Orakelbefragung für Issé. Zum großen Entsetzen Issés verkündet das Orakel jedoch, dass sich Issé für den Gott Apollo bereit halten solle, da dieser von ihr geliebt zu werden wünsche. Issé ist verzweifelt, während Nymphen und Götter des Waldes vereint mit den Priestern die Wahl Apollos preisen und Issés Schönheit und Ausstrahlung feiern.
4.Akt
Issé hat sich in eine Grotte zurückgezogen um ihr Schicksal zu beweinen. Apollo gefügig sein zu müssen hat ihr die Augen geöffnet für ihre Liebe zu Philémon, den sie nun nicht einmal mehr für den Gott Apollo aufgeben möchte. Das Gefolge des Schlafes erscheint und betäubt mit sanftem Schlummer Issés Schmerz. Ein Traum soll Issé die Herrlichkeit Apollos zeigen, damit sie seine Gefühle erwidern möge.
Hylas findet die schlafende Issé und beweint seine unerwiderten Gefühle während er zärtlich die schlafende Nymphe betrachtet. Als Issé benommen aus ihrem kurzen Traum vom großartigen Apollo erwacht, stellt sie mit Schrecken fest, dass sie dessen Zuneigung in ihrem Traum tatsächlich ein wenig erweicht hat. Entsetzt besinnt sie sich auf Philémon und ihre aufrichtigen Gefühle ihm gegenüber.
Hylas, der Issé belauscht hat, ist völlig entsetzt über die ihm bisher verborgene doppelte Rivalität mit einem Gott und einem einfachen Schäfer, den Issé auch noch bevorzugt. Er beschließt sich dieser auswegslosen und unmöglichen Situation vor dem Hintergrund der eigenen unerwiderten Gefühle nicht länger aussetzen zu wollen und verläßt die mitleidsvolle Issé, um sie niemals wieder zu sehen.
Pan erscheint überstürzt und berichtet Issé, dass Philémon entsetzliche Qualen wegen dem unsäglichen Orakelspruch leide und Issé eilt zu ihm um ihn zu beruhigen. Der Chor feiert die Beständigkeit wahrer Liebe.
5.Akt
Allein in einer Einsiedelei beneidet Doris die lieblich singenden Vögel um ihr eifersuchtsloses und einfaches Dasein, welches niemals durch unerfüllte Liebe getrübt wird. Sie wird allerdings gestört durch den ihr nachstellenden Pan, dem sie aber gelassen erklärt, sie würde an diesem einsamen Ort endlich einmal über dessen Wankelmütigkeit und die offensichtliche Unmöglichkeit der gemeinsamen Verbindung nachsinnen.
Doris erklärt Pan herausfordernd, dass sie ihn gerade erst wieder dabei beobachtet habe, wie er auch der Nymphe Thémire nachstellte. Beide kommen nun endgültig zu dem Schluß, dass die Vorstellungen von einer gemeinsamen Verbindung doch zu unterschiedlich sind, und sie beschließen ihr Glück in anderen Banden zu suchen. Beide ziehen sich eilig zurück, als sie Philémon und Issé kommen sehen.
Der aufgebrachte Philémon lässt sich von Issé weder durch Tränen noch durch Schwüre davon überzeugen, dass diese ihm treu ergeben sei und Apollo nicht erhören wolle. Als er Issé mit seiner Eifersucht so in die Enge getrieben hat, dass diese unter Tränen schließlich sogar seine eigenen Gefühle bezweifelt und ihn flehentlich bittet vor Apollos Rache zu fliehen gibt sich Philémon endlich als Apollo zu erkennen und bittet die erlöste Issé mit Tränen der Rührung über ihre Standhaftigkeit um Verzeihung für die Täuschung.
Apollo preist überschwänglich den erhabenen Moment der Erfüllung seiner Wünsche und eine groß angelegt Huldigungsszene an die Liebe beschließt die Oper, verbunden mit der abschließenden Frage, ob es denn überhaupt schöne Tage ohne die Liebe geben könne.