„Ich will in der Chorgemeinschaft mitsingen“, erklärt mir eines Abends mein Mann. Er ist ein Tenor, sowas braucht jeder Chor dringend. Außerdem singt er gern, aber nicht Wanderlieder, sondern was Anspruchsvolles. Und Musik entspannt, stärkt die Nerven, verlängert das Leben.
Leuchtet mir ein, bin einverstanden. Montags von 20-22 Uhr ist Chorprobe, Konzert ein- bis zweimal pro Jahr. Das lässt sich neben Gartenarbeit, Radlfahren, Enkelhüten und einigen anderen dringenden Rentneraufgaben verkraften, denke ich.
Chorprobe. Es wird 22.30, 22.45 Uhr…
Mein Mann noch nicht zu Hause. Was ist los? Ein Anruf: „Ja, wir müssen noch bei einem Bier abspannen und Wichtiges bereden.“ Gut, ich lege mich schlafen. Mein Mann bringt einen Packen Noten mit heim. Sitzt im Sessel, vertieft in die Komposition. Brummelt etwas leise Gesangsartiges vor sich hin. Streicht mit einem gelben Leuchtstift gewisse Tenorpassagen an. Äußert sich begeistert über die gegenwärtig eingeübte Musik. „Sing mir doch mal was von deiner Stimme vor“, bitte ich. Das weist er weit von sich. Eine Stimme allein ist nichts. Es wirken nur alle zusammen. Es ist ja ein Chor…
Na ja. Vielleicht beherrscht er seinen Part noch nicht richtig.
Aus der Distanz verfolge ich den Fortgang: Heute war es gut, Köppelmann war zufrieden. Heute war’s nichts, Köppelmann meckerte wegen unpünktlichem und unzuverlässigem Erscheinen, wegen Unaufmerksamkeit.
Aha. Ist mein Mann unpünktlich?
Unzuverlässig bestimmt nicht. Wenn ich ihn mal wegen anderer Unternehmungen zum Chorschwänzen überreden will, wehrt er so energisch ab, dass ich überzeugt sein muss, die ganze Chorprobe bricht zusammen, weil sein Tenor fehlt.
Der Konzerttermin rückt näher.
Zuerst noch eine Chorfreizeit, auf der Chiemseeinsel zum Beispiel. Ein ganzes Wochenende ist mein Mann abgängig. Intensivstes Chortraining. Sonntags kommt er sehr zufrieden heim. Es war toll! Bei mir in meiner Wochenendeinsamkeit war’s nicht so toll, aber Kunst verlangt Opfer – auch von mir.
Ich lehne mich zurück, schwinge im Innern mit, genieße, erlebe Augenblicke von Glück.
Vor dem Konzert häufen sich Aktivitäten, Telefongespräche, Faxe, Zusammenkünfte zwecks Planung, Plakate verteilen, Saalbelegungen absprechen, Scheinwerfer besorgen, die Treppchenbühne für die Chorsänger errichten – bei allem muss mein Mann unbedingt dabei sein. Der Tag der Aufführung ist von morgens an geprägt durch unermüdlichen Einsatz an allen Chorfronten. Mit Bohrschrauber, Säge, Hammer und Nägeln, Schrauben, Isolierband, mit einem ganzen Kasten voll Werkzeug und im Arbeitsdress verschwindet mein Mann. Kurzes Erscheinen zu Hause, schnell etwas essen, einen Tee als Balsam für die Stimmbänder. Schwarzen Anzug anziehen, ein blaues Poussiertüchlein in der Brusttasche, weißes Hemd. Die Fliege muss ich ihm binden. Sie darf nicht schief sitzen und muss rechts und links gleich lang zur Seite sein. So chic habe ich meinen Mann schon lange nicht mehr gesehen!
Für mich gibt es einen Platz im Konzert, der gute Sicht und gute Akustik bietet. Natürlich bin ich aufgeregt. Hoffentlich kommt viel Publikum! Hoffentlich klappt die Singerei! Hoffentlich ist Köppelmann zufrieden! Jetzt marschieren alle Sänger und Sängerinnen feierlich im Gänsemarsch ein, stellen sich auf ihrer Tribüne auf. Als der Begrüßungsbeifall verebbt, hebt Köppelmann den Taktstock – den imaginären.
Es singt, es klingt, schwillt an, die Stimmen schlingen sich umeinander, laufen nebeneinander her, steigen auf, werden zurückgenommen oder wachsen an. Ich lehne mich zurück, schwinge im Innern mit, genieße, erlebe Augenblicke von Glück. Klatsche mir am Ende die Hände wund vor Begeisterung.
Jetzt darf ich nicht mehr maulen, weil mir in unserem Keller ½ m³ Scheinwerfer und Kabel im Wege herumstehen. Weil in der Garage ein Packen von 20 m schwarzem Tribünenverhüllungsstoff lagert. Weil von diesem schwarzen Stoff auch noch eine Rolle im Gartenkammerl vor sich hin träumt. Wo sonst sollte der Chor Lagerplatz finden? Für was Schönes, für die Kunst muss auch ich freudig Opfer bringen.
von Linde Harttmann